Laudatio von Susanne Selbert

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Ausstellungseröffnung BRUST RAUS in der Kasseler Sparkasse am Mittwoch, 04.03.2020 um 19.00 Uhr

Sehr geehrter Herr Buchholz, sehr geehrte Gäste, aber vor allem, liebe Künstlerinnen,

ich habe vor kurzem auf Zeit-Online einen Artikel über Männer im Alter gelesen, übrigens: geschrieben von einem Mann (Björn Erik Sass, selbst über 50). Der Artikel trägt den Titel: "Brust raus, Alter!"
Er schreibt, mit 50 lassen die Männer die Schultern hängen und die Bäuche wachsen, bis sie mit ihren mutlos hängenden Schultern aussehen wie ein übergekochter flatschiger Porree und wie eine wandelnde Entschuldigung in Badehose über den Strand schleichen. Der Autor fragt sich: Wieviel Freude kann in derartig Selbstgebremsten sein und wieviel Freude kann so an andere weitergegeben werden.
Von "freudloser Selbstgebremstheit" kann man heute bei der Künstlerinnengruppe und ihren Werken nun so gar nicht reden. Hier drückt sich vielmehr das Gegenteil aus: Freudvolle ausdrucksstarke Ungebremstheit, an der wir alle teilhaben können. Eure / Ihre Werke zeigen freche, ironische, humorvolle, sinnliche und kritische weibliche Positionen, ohne Eitelkeit und Wichtigtuerei.  Aber darüber hinaus auch selbstbewusste, klare und entschiedene Haltungen. Nun ... mit zwei Worten gesagt: BRUST RAUS! Sowohl im übertragenem Sinn, als auch bei dem ein oder anderen Werk wortwörtlich genommen.

Diese Ausdrucksstärke finden wir zunächst bei Claudia Bressem (Fuldatal). Sie widmet sich dem weiblichen Akt, modelliert aus Ton, dem nicht perfekten weiblichen Akt, der gerade in seiner vermeintlichen Unzulänglichkeit schön und reizvoll ist, Lebensfreude ausstrahlt und alles andere als mutlos wirkt. Zu Recht strahlen diese Frauen Selbstsicherheit, Lebensfreude und Stolz hinsichtlich ihrer Weiblichkeit aus.
Wir finden von Claudia Bressem noch ausdrucksstarke, farbintensive Fotografien aus Nordindien, die indische Frauen zwischen Tradition und Moderne zeigen.

Irene Greinke (Kassel) hingegen arbeitet mit Buntstiften. Ein Malmittel - wie ich finde - das gut zu ihrer Ausdrucksform passt. Sie setzt das Handeln und Fühlen des Menschen / der Frauen in Formen und Farben um, die mit unterschiedlichen Intensitäten und Tiefen Assoziationen wecken und Gefühlswelten sichtbar machen.
Ihre Werke zeigen fragile Körper, sind sehr tiefgründig, zart und ich finde auch poetisch und bisweilen melancholisch.

Bele Kreiß (Lohfelden) nimmt uns mit in ihrer Lebensfreude, sowohl bei ihren bunten Ton-Skulpturen als auch bei ihren "Busenfreundinnen". Sie wurde bei diesem Werk inspiriert von Annie Sprinkle, einer documenta: 14 Künstlerin aus den USA.
Die Werke zeigen Freundinnen von Bele Kreiß, wagemutige Frauen ganz unterschiedlichen Alters, die ihre Brüste spielerisch verformend, halb verdeckend in Szene setzen und in ihrer Vielfalt, in ihrer Unterschiedlichkeit ein deutliches Signal gegen stereotype Frauenbilder setzen.

Angelika Oft-Roy (Vellmar) ist mit ihren außergewöhnlichen Portraits dabei, die durch die Farbwahl, durch den Pinselstrich, durch die Dynamik, vielleicht besser ausgedrückt, durch eine gehörige Portion Wildheit, eine Lebendigkeit, eine Vielschichtigkeit der Porträtierten sehr stark zum Ausdruck bringen können.
Ich finde, dies gelingt intensiver als durch manche akribisch-naturalistische Arbeit. Mit dem "Frau sein" und der eigenen Lebensgeschichte setzt sie sich in der Reihe "my mother and me" auseinander, angefangen von den Schuhen der Mutter, der Mutter, die einem das Laufen gelehrt hat, bis hin zur Vermischung der beiden Porträts von Mutter und Tochter.

Gayala Ricoletti (Kassel) setzt sich ebenfalls intensiv mit dem Thema Weiblichkeit auseinander, mit dem künstlichen Ideal-Ich und der Frage von weiblicher Würde und Wertschätzung. Dabei bedient sie sich mythischer und märchenhafter Erzählungen. Sie hat uns beispielsweise auch ihren bereits vielfach bekannten "Aschenputteltaler" mitgebracht, ihre eigens erschaffene Währung, die viel auch mit ihrer eigenen Geschichte zu tun hat.
Ingo Buchholz, das wäre doch mal eine Überlegung wert, ob man nicht als namhaftes Geldinstitut diese weitgehend krisensichere Fremdwährung im Portfolio aufnehmen sollte.

Gabriele Schettler (Kassel) ist hier vertreten mit Fotografien. Fotografien mit einer reizvollen Ästhetik, die auf den ersten Blick etwas rätselhaft anmuten, weil sie einen Aspekt, einen Ausschnitt zeigen, der nach intensiver Betrachtung, nach einer Entschlüsselung der Körperlandschaft verlangt. Ein Spiel, eine Komposition von Farben, von unterschiedlichen Materialien (auch von Gegensätzlichkeiten wie Hart und Weich) und von unterschiedlichen Formen.
Diese Kompositionen beinhalten zunächst etwas Geheimnisvolles, weisen aber auch immer eine wunderschöne sinnliche Komponente auf.

Die intensiven Acrylbilder von Ingrid Siebrecht-Lehmann (Kassel) widmen sich Frauen in ihrer körperlichen Verletzlichkeit. Sie thematisiert die Repressalien, denen Frauen ausgesetzt sind, Unterdrückung durch tradierte patriarchalisch geprägte kulturelle und religiöse Strukturen. Sie scheut sich nicht, Themen wie Genitalverstümmelungen, Krieg, Vertreibung künstlerisch sichtbar zu machen und dem Entsetzen, dem Trauma Ausdruck zu verleihen und sie ist damit nach wie vor hoch aktuell.

Liebe Frauen,
ich finde, es ist ein Glück, dass Ihr euch zusammengefunden habt, teilweise schon vor vielen Jahren oder auch erst im Rahmen des Engagements für die d:gallery, in der bereits 2019 eine gemeinsame Ausstellung sehr erfolgreich stattfand.
Ein Glück deshalb, weil uns auch diese Ausstellung wieder klare entschiedene Haltungen zeigt, Positionen bezogen werden zu Themen, die Frauen bzw. die Weiblichkeit betreffen und uns vor allem mitnimmt, in eine freudvolle ausdrucksstarke Ungebremstheit. Ich bin mir sicher, keine der Frauen wird mit mutlos hängenden Schultern wie ein übergekochter flatschiger Porree und eine wandelnde Entschuldigung über den Strand schleichen.
Aber: Kopf hoch, Männer! Es geht auch anders:
Schon der legendäre Samurai Miyamoto Musashi wusste, dass man mit der richtigen Körperhaltung nicht nur die anderen Menschen beeindruckt, sondern vor allem sich selbst. Das ist fast 500 Jahre her und mittlerweile wissenschaftlich bestätigt. Es ist die Körperhaltung, die die mentale Stärke, ja sogar das Immunsystem, bestimmt.
Also Männer: Brust raus!
Liebe Künstlerinnen, seien Sie weiterhin so stark und machen Sie uns weiter so viel
Freude. Vielen Dank.